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27.01.2015

DR. WATSON News

Plastikhormon inside: Eher harmlos - oder perfider Dickmacher?
Joachim E. Röttgers / Graffiti

Zaghafter Kampf gegen heimliche Dickmacher

Industriefreundliche EU-Lebensmittelwächter: Urteil zu Plastikhormonen

Sie finden sich in Getränkedosen: Cola, Fanta und Red Bull. Sie sollen dick machen, und die Fruchtbarkeit stören: Hormonchemikalien wie das sogenannte Bisphenol A (BPA). Viele Länder sind daher schon dagegen vorgegangen. Die Experten der europäischen Lebensmittelbehörde Efsa wollten kein Verbot verhängen, haben aber vorige Woche die Grenzwerte verschärft. Gefahren sehen sie gleichwohl nicht. DR. WATSON über das Urteil der Lebensmittelwächter und ihre Verbindungen zur Industrie.

Es ist die meistproduzierte Chemikalie der Welt, und sie ist allgegenwärtig. Fast fünf Millionen Tonnen werden jährlich hergestellt. Bisphenol A (BPA) wird in vielen Supermarktprodukten regelmäßig nachgewiesen. Das österreichische Umweltbundesamt fand den Stoff beispielsweise in Red-Bull und anderen Getränkedosen, in Fanta, Coca-Cola und Bierdosen.

Er wird häufig als „Weichmacher“ bezeichnet, zählt zu den sogenannten Hormonstörern (im Experten-Jargon: „Endocrine disruptors“). Sie sind weltweit gefürchtet, weil sie die Fortpflanzung stören können, aber auch als heimliche Dickmacher wirken. Sogar eine „Task Force“ des amerikanischen Präsidenten wies auf diese Stoffe und ihre übergewichtsfördernde („obesogene“) Wirkung hin.

Kanada hat den Stoff auf die Liste toxischer Substanzen gesetzt. Auch in der EU ist die Verwendung in Babyflaschen mittlerweile verboten. Einzelnen europäischen Ländern ging das aber nicht weit genug.

Die Efsa war zum Handeln gezwungen, weil zahlreiche Länder bezüglich der umstrittenen Chemikalie schon zu Alleingängen aufgebrochen war: Sie sahen die Sicherheit ihrer Bevölkerung durch die bisherigen Efsa-Urteile zu BPA nicht mehr gewährleistet. So haben die EU-Mitgliedsstaaten Schweden und Belgien nationale Gesetze erlassen, die ihre Bevölkerung besser vor Risiken durch BPA schützen sollen.

Damit drohten Handelsschranken, mitten in Europa.

Und damit wird es ernst. Das berührt die Kern-Aufgabe der Efsa: denn sie soll, so sieht es die einschlägige EU-Verordnung 178/2002 vor, „zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes beitragen“.

Vorige Woche hat sie nun die Grenzwerte für BPA verschärft. So richtig überzeugt sind die – häufig als industrienah kritisierten – Experten der europäischen Lebensmittelbehörde im italienischen Parma von der Gefährlichkeit der Hormonchemikalie BPA allerdings immer noch nicht: Sie betonten gleichzeitig, es bestehe “Kein Gesundheitsrisiko für Verbraucher“ durch Bisphenol A.

Zwar räumt auch die Expertenrunde ein, dass im Zentrum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung die hormonellen Effekte auf den Organismus stünden, und im Zusammenhang mit diesen „Störungen“ Folgen wie Übergewicht.

Leider gebe es “keinen wissenschaftlichen Konsens“über die hormonellen Wirkungen und die übergewichtsfördernden Folgen, klagte die Expertenrunde.

Was auch kein Wunder ist: Viele Mitgliedern der Efsa-Expertenrunden zu BPA unterhalten Beziehungen zur Industrie.

Mitgewirkt hat bei der Entscheidung etwa der Münchner Professor Karl-Heinz Engel, der eng verbunden ist mit der Industrie-Lobbytruppe Ilsi (International Life Sciences Institute), die getragen wird unter anderem vom BPA-Hersteller Dow und den BPA-Verwendern Red Bull, Nestlé, Coca-Cola .

In seiner Erklärung über Interessenskonflikte hat der Efsa-Experte Engel diese Aktivitäten nicht deklariert. Etwa seine Arbeit als Mitwirkender bei Ilsi-Reports über Gentechnik im Jahre 2000 Und 2001. Der französische Biologe Jean-Pierre Cravedi arbeitete von 2009 bis 2013 gelegentlich für den Fruchtzwerge-Riesen Danone. Laurence Castle, Mitarbeiter der britischen Behörde für Lebensmittel- und Umweltforschung, war für Ilsi Europe tätig und ebenso für Projekte mit dem Ketchup-Konzern Heinz Foods.

Der deutsche Efsa-Experte Roland Franz war 2012 Mitglied in einem Ilsi-Ausschuss für Lebensmittelverpackungen, neben seinem Job am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung im bayrischen Freising. Ebenso engagiert für Ilsi: Christina Tlustos von der irischen Behörde für Lebensmittelsicherheit.

Der holländische Kollege Hank van Loveren, Mitglied der Efsa-Expertengruppe für BPA-Toxikologie, wirkte mit bei einer Ilsi-Autorenrunde für ein 2013 erschienenes Papier einer Ilsi-Task Force.

Seit langem hat die Industrie mit massiver Forschungsförderung das wissenschaftliche Meinungsbild zu ihren Gunsten beeinflusst: Der Würzburger Toxikologe Wolfgang Dekant etwa wurde 2008 für eine BPA-Studie durch die Unternehmensvereinigung American Chemistry Council bezahlt, arbeitete auch für andere Industriekreise, wie die „Environmental Health News“ berichteten.

Der Wissenschaftler sah darin nichts Ungewöhnliches: Das sei „der normale Weg“, sagte Dekant: „Sie können keine Forschung mehr machen, wenn Sie nicht Geld aus allen Quellen annehmen.“

Zugleich war er aber auch, bis 2008, Mitglied des Efsa-Expertengremiums, das die Unbedenklichkeit von BPA attestierte.

Unter seiner Mitwirkung hatte die Behörde im italienischen Parma die Grenzwerte für BPA im Jahre 2007 sogar entschärft und die akzeptable tägliche Aufnahmemenge (»acceptable daily intake«, ADI) auf 50 Mikrogramm pro Tag und Kilogramm Körpergewicht hochgesetzt – fünfmal mehr als zuvor.

Jetzt also kam der Rückzieher: die Efsa setzte die maximale Tagesdosis auf vier Mikrogramm herab – um gleichzeitig zu betonen, die Belastung liege „deutlich unterhalb der sicheren Obergrenze“.

Mehr zu den heimlichen Dickmachern aus industrieller Produktion im neuen Buch von Hans-Ulrich Grimm, das nächste Woche erscheint:

Hans-Ulrich Grimm
Die Kalorienlüge. Wie uns die Nahrungsindustrie dick macht.
Droemer Knaur Verlag 2015