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09.02.2007

DR. WATSON exklusiv

Viel Rauch um weißes Pulver: Der Geschmacksverstärker Glutamat bleibt umstritten
Joachim E. Röttgers/Graffiti

Ein Pfund Glutamat am Tag - völlig okay oder beinahe tödlich ?

Neuer Streit um Geschmacksverstärker

Die neueste Unbedenklichkeitsbescheinigung namhafter Professoren für den in vielen Fertiggerichten enthaltenen Geschmacksverstärker Glutamat muss in einem wesentlichen Punkt korrigiert werden. Der Bonner Professor Peter Stehle, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, entschuldigte sich gegenüber DR. WATSON für einen "Druckfehler", durch den mehr als ein Kilo Glutamat am Tag für unschädlich erklärt wurde. Doch auch der korrigierte Wert ruft Widerspruch hervor. Er liegt immer noch bei knapp einem Pfund für einen Erwachsenen.

Das Gutachten ist in einer Fachzeitschrift erschienen ("European Journal of Clinical Nutrition") und erklärte eine tägliche Menge von 16.000 Milligramm Glutamat pro Kilogramm Körpergewicht für unbedenklich. Bei einem Erwachsenen mit 78 Kilogramm bedeutet dies eine tägliche Glutamat-Dosis von 1,248 Kilogramm. Dies war das Ergebnis eines sogenannten "Konsensusgespräches" namhafter Professoren im Jahre 2005 an der Universität Hohenheim, das im vergangenen Jahr publiziert wurde.

Da habe sich leider "ein Fehler eingeschlichen", räumte jetzt der Bonner Professor Peter Stehle, Sprecher der Runde, auf Anfrage von DR. WATSON ein. Statt 16.000 Milligramm müsse es heißen: 6.000 Milligramm. Stehle bedauerte den Lapsus gegenüber DR. WATSON. Der Professor schreibt in seiner Stellungnahme: "Ein solcher Fehler (eine 1 zuviel) sollte nicht vorkommen", zumal "alle Mitautoren den Text abgesegnet" und auch "die unabhängigen Begutachter" des renommierten Fachjournals "den Fehler nicht bemerkt" hätten.

Doch auch die neue Version ruft Kritik hervor.
Der Kieler Professor Michael Hermanussen befürchtet selbst bei der reduzierten Dosis gesundheitliche Schäden, etwa bei ungeborenen Babies im Mutterleib. Er hat über den Geschmacksverstärker geforscht und im letzten Jahr in einer Studie nachgewiesen, dass der Geschmacksverstärker zu "Gefräßigkeit" führen kann. Zu der Konsensrunde war er nicht eingeladen worden. Hermanussen bemängelt zudem, dass der "Konsens" wissenschaftlichen Standards nicht genügt. Wichtige Untersuchungen und Erkenntnisse seien nicht berücksichtigt worden, vor allem solche zu schädlichen Wirkungen.

Die angeblich harmlose tägliche Aufnahmemenge von 6000 Milligramm liege zudem gefährlich nahe an der tödlichen Dosis: Sie ist, so gibt auch das Konsens-Gutachten an, bei vielen Versuchstieren schon mit 15.000 Milligramm erreicht.

Thilo Bode, Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, kritisiert den Konsens - und die teilnehmenden Wissenschaftler, die gesundheitliche Risiken herunterspielten. Bode gegenüber DR. WATSON: "Wer schützt uns eigentlich vor Professoren, die unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Unabhängigkeit die Gesundheit von Verbrauchern aufs Spiel setzen?"

Das Konsensuspapier wird von insgesamt zehn Unterzeichnern getragen, darunter der renommierte Heidelberger Alzheimerforscher Professor Konrad Beyreuther, der US-Psychiatrieprofessor John D. Fernstrom von der Universität Pittsburgh und Professor Hans Steinhart von der Abteilung für Lebensmitttelchemie der Universität Hamburg. Beteiligt waren auch zwei Funktionsträger der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), neben dem Präsidenten Stehle der Geschäftsführer der baden-württembergischen DGE, Peter Grimm.

Initiiert wurde das Gespräch von dem Hohenheimer Professor Hans Konrad Biesalski. Er hatte auch die Vorläuferveranstaltung im Jahre 1996 geleitet. Sponsor war damals der Europäische Verband der Glutamatindustrie. Ob es auch bei der neuen Konsensrunde Sponsoren gegeben hat, mochten Stehle und Biesalski auf Anfrage von DR. WATSON nicht sagen.

Glutamat ist in vielen Fertiggerichten, auch Chips, Snacks und Würsten enthalten. Er ist mit einer Welt-Jahresproduktion von 1,7 Millionen Tonnen der wichtigste Zusatzstoff der Nahrungsindustrie.

zum Konsensuspapier